Das Fehmarn-Festival 1970

Love & Peace & Jimi Hendrix

von Thorsten Schmidt


Zuerst versank es im Dauerregen und dann ging es in Flammen auf - in den Annalen der Musikgeschichte steht das „Love & Peace-Festival” als Flop des Jahrhunderts. Doch die meisten der rund 25.000 Hippies und Rocker, die vom 4. bis 6.September 1970 auf die Ostseeinsel Fehmarn gepilgert waren, haben ganz andere Erinnerungen an dieses Festival. Fehmarn wurde kein „europäisches Woodstock”, wie es die Veranstalter versprochen hatten, und dennoch bleibt im Nachhinein mehr als der zweifelhafte Ruhm, dem Publikum das letzte Konzert von Jimi Hendrix geboten zu haben. Zwölf Tage nach dem Fehmarn-Auftritt war Jimi Hendrix tot.

Schon im Vorfeld stand zu befürchten, daß die drei jungen Veranstalter aus Kiel dem Organisationsaufwand eines Festivals dieser Größenordnung nicht gewachsen wären. Von Musikergagen von 280.000 DM war ebenso zu lesen wie von einer sechstelligen Summe, die Beate Uhse als Kredit zur Deckung der Vorkosten bereitgestellt haben soll. Sie wird ihr Geld wohl wiederbekommen haben, denn in ihren Sex-Shops wurden bundesweit die Tickets für das Festival verkauft. Andere standen nach diesem Wochenende mit leeren Taschen da - Ordner, Getränkelieferanten, Musiker - denn die Einnahmen reichten nicht aus, um die Kosten zu decken.
Sponsoren und Fernsehgelder, die heute jedes Großereignis schon im Vorfeld in die schwarzen Zahlen schieben, gab es damals noch nicht.
In der Presse kam das „Love & Peace-Festival” denkbar schlecht weg. In der Musikpresse war von „Chaosfestival” und vom „Albtraum” die Rede und rein musikalisch betrachtet, waren die Konzerte in der Tat eher dürftig: Die P.A. war dem Dauerregen nicht gewachsen und fiel mehrfach aus. Der scharfe Ostseewind zerfetzte die Musik, so daß oft wenig zu hören übrig blieb. Und die Musiker sind bei Kälte und Nässe auch nicht gerade zu Höchstform aufgelaufen. Unter diesen Umständen sorgten Mungo Jerry mit ihrem aktuellen Hit „In the summertime" immerhin noch für einen Heiterkeitserfolg.


Festivalplakat 1970

Die bürgerliche Presse konnte sich gar nicht darüber beruhigen, daß langharige Gammler selbstgefertigten Schmuck in den Einkaufsstraßen feil boten, daß Mädchen barbusig zu der Musik tanzten oder daß sich minderjährige Jungen und Mädchen gemeinsam in die Zelte quetschten. Die heuchlerische Scheinheiligkeit, die aus den Berichten vom „Fehmarnschen Tageblatt” bis hin zum „Spiegel” quillte, offenbarte die wahre Bedeutung der drei Tage von Fehmarn: Im September 1970 war der Geruch von Adenauer noch in allen Nasen. Die APO hatte sich wegen Vietnam oder wegen des Iran auf der Straße mit Polizisten geprügelt, aber der Druck der gesellschaftlichen Konventionen war ungebrochen und die sexuelle Revolution hatte bestenfalls für die Männer begonnen.

Autoaufkleber vom Fehmarn-Festival 1970

Fehmarn war ein Teil des Traums vom unreglementierten Leben. Allem Schlamm und allen brutalen Ordnern zum Trotz war es gerade das Chaos, was die Botschaft der Anarchie verkündete. „Alles war so herrlich unorganisiert,” erzählte mir einer, der dabei war, „man wußte nicht, wo man das nächste Bier herbekommt, und man wußte nicht, wie man zur nächsten Toilette kommen sollte. Weil es allen so ging, gab es eine große Hilfsbereitschaft und es entwickelte sich ein tolles Wir-Gefühl.”
Ein Hamburger Bootlegger erinnert sich mit diebischer Freude daran, die Polizei an der Nase herumgeführt zu haben: „Die wußten gar nicht, was ein Bootleg ist und haben die regulären Platten an den Ständen der Händler beschlagnahmt. Wir sind aber von Zelt zu Zelt gegangen und haben irrsinnig viele Platten verkauft.”
Daß sich dennoch zum Sonntag hin viel Frust aufbaute, lag an den langen Pausen zwischen den Auftritten und den ständigen Absagen bekannter Bands: Colosseum, Taste, Cactus, Can, Procul Harum, Ten Years After oder Keith Emerson weigerten sich, aufzutreten, waren gar nicht erst angereist oder waren angekündigt, ohne daß Verträge zustande gekommen waren. Alexis Korner übernahm die Moderation und bemühte sich, die Pausen zu überbrücken und die wartenden Fans bei Laune zu halten. Daß Jimi Hendrix dann tatsächlich kam und nicht wie geplant am Samstag, aber doch am Sonntag spielte, versöhnte schließlich. Dennoch lief am Sonntag alles aus dem Ruder. Das Gerücht machte die Runde, die Veranstalter seien mit der Kasse bereits geflüchtet, Rio Reiser als Sänger der letzten Band Rote Steine rief: „Hauen wir die Veranstalter ungespitzt in den Boden!”, und direkt nach dem letzten Akkord ging die Bühne in Flammen auf. Das war´s dann.

Hier gibt es die Fotos vom FEHMARN OPEN AIR 2002

aus: Schwarze Seiten ´96 - Service für Sammler von Schallplatten und CD´s; Kultur Buch Bremen, 1996
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