Die bürgerliche Presse konnte sich gar nicht darüber beruhigen, daß langharige Gammler selbstgefertigten Schmuck in den Einkaufsstraßen feil boten, daß Mädchen barbusig zu der Musik tanzten oder daß sich minderjährige Jungen und Mädchen gemeinsam in die Zelte quetschten. Die heuchlerische Scheinheiligkeit, die aus den Berichten vom „Fehmarnschen Tageblatt” bis hin zum „Spiegel” quillte, offenbarte die wahre Bedeutung der drei Tage von Fehmarn: Im September 1970 war der Geruch von Adenauer noch in allen Nasen. Die APO hatte sich wegen Vietnam oder wegen des Iran auf der Straße mit Polizisten geprügelt, aber der Druck der gesellschaftlichen Konventionen war ungebrochen und die sexuelle Revolution hatte bestenfalls für die Männer begonnen.
 Autoaufkleber vom Fehmarn-Festival 1970
Fehmarn war ein Teil des Traums vom unreglementierten Leben. Allem Schlamm und allen brutalen Ordnern zum Trotz war es gerade das Chaos, was die Botschaft der Anarchie verkündete. „Alles war so herrlich unorganisiert,” erzählte mir einer, der dabei war, „man wußte nicht, wo man das nächste Bier herbekommt, und man wußte nicht, wie man zur nächsten Toilette kommen sollte. Weil es allen so ging, gab es eine große Hilfsbereitschaft und es entwickelte sich ein tolles Wir-Gefühl.”
Ein Hamburger Bootlegger erinnert sich mit diebischer Freude daran, die Polizei an der Nase herumgeführt zu haben: „Die wußten gar nicht, was ein Bootleg ist und haben die regulären Platten an den Ständen der Händler beschlagnahmt. Wir sind aber von Zelt zu Zelt gegangen und haben irrsinnig viele Platten verkauft.”
Daß sich dennoch zum Sonntag hin viel Frust aufbaute, lag an den langen Pausen zwischen den Auftritten und den ständigen Absagen bekannter Bands: Colosseum, Taste, Cactus, Can, Procul Harum, Ten Years After oder Keith Emerson weigerten sich, aufzutreten, waren gar nicht erst angereist oder waren angekündigt, ohne daß Verträge zustande gekommen waren. Alexis Korner übernahm die Moderation und bemühte sich, die Pausen zu überbrücken und die wartenden Fans bei Laune zu halten. Daß Jimi Hendrix dann tatsächlich kam und nicht wie geplant am Samstag, aber doch am Sonntag spielte, versöhnte schließlich. Dennoch lief am Sonntag alles aus dem Ruder. Das Gerücht machte die Runde, die Veranstalter seien mit der Kasse bereits geflüchtet, Rio Reiser als Sänger der letzten Band Rote Steine rief: „Hauen wir die Veranstalter ungespitzt in den Boden!”, und direkt nach dem letzten Akkord ging die Bühne in Flammen auf. Das war´s dann.
Hier gibt es die Fotos vom FEHMARN OPEN AIR 2002
aus: Schwarze Seiten ´96 - Service für Sammler von Schallplatten und CD´s; Kultur Buch Bremen, 1996 Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Ein Nachdruck - auch auszugsweise - ist untersagt. Ein Setzen von Links auf diese Seite bedarf der Genehmigung des Verlages.

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